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Arbeitsrecht

Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen können unwirksam sein – Verstoß gegen Mindestentgeltregelung

By 13. September 2016Dezember 23rd, 2021No Comments

Kann sich ein Arbeitgeber auch bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder dem Mindestlohn auf eine vertragliche Ausschlussfrist berufen?
Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung im August 2016 klargestellt, dass vertragliche Ausschlussfristen, die gesetzliche Mindeststandards für Arbeitsverhältnisse tangieren, unzulässig sein dürften.

Hierum geht es:

Eine Arbeitnehmerin, die im ambulanten Pflegedienst beschäftigt war,  war erkrankt. Der Arbeitgeber leistete keine Entgeltfortzahlung, weil er die ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit bezweifelte. In dem rund sechs Monate später eingeleiteten arbeitsgerichtlichen Verfahren auf Zahlung des Entgelts berief der Arbeitgeber sich auf eine vertragliche Ausschlussfrist, wonach Ansprüche binnen drei Monaten geltend gemacht werden müssten.

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Auffassung der Arbeitnehmerin, dass ihr Anspruch auf Entgeltfortzahlung zustünde und begründete die Entscheidung unter anderem damit, dass die Verfallsklausel im konkreten Fall gegen zwingende gesetzliche Regelungen zum Mindestentgelt verstoßen würde und daher unwirksam ist.

Ausschlussfristen sind in Arbeitsverträgen eine gängige und vernünftige Regelung. Vielfach werden diese Klauseln auch nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wirksam bleiben.

Im Zweifelsfall lohnt sich aber ein kritischer Blick auf die verwendete oder angedachte Klausel.  Gegebenenfalls sollten die Vertragsparteien über eine Anpassung bestehender Klauseln im Lichte der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nachdenken.

Bei Fragen rund ums Arbeitsrecht wenden Sie sich an
Ulrike Münzner, Rechtsanwältin für Arbeitsrecht

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Die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 24.08.2016 zu vertraglichen Ausschlussfristen und Mindestentgelt finden Sie nachfolgend:

Pressemitteilung Nr. 44/16

Ausschlussfristen und Mindestentgelt

Eine vom Arbeitgeber als Allgemeine Geschäftsbedingung gestellte arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung, die auch den Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 der am 1. August 2010 in Kraft getretenen Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) erfasst, verstößt im Anwendungsbereich dieser Verordnung gegen § 9 Satz 3 in Verbindung mit § 13 AEntG*.
Die Klägerin war vom 15. Juli bis zum 15. Dezember 2013 beim Beklagten, der damals einen ambulante Pflegedienst betrieb, als Pflegehilfskraft beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthielt als Allgemeine Geschäftsbedingung eine Verfallklausel, nach der alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Bei Ablehnung oder Nichtäußerung der Gegenpartei binnen zwei Wochen nach der Geltendmachung sollte Verfall eintreten, wenn der Anspruch nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.

Die Klägerin war vom 19. November bis zum 15. Dezember 2013 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Beklagte hatte trotz ärztlicher Bescheinigung Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit und leistete keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. In dem von der Klägerin am 2. Juni 2014 anhängig gemachten Verfahren hat sich der Beklagte darauf berufen, der Anspruch sei jedenfalls wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung verfallen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision des Beklagten ist im Wesentlichen erfolglos geblieben. Die Klägerin hat für den durch die Arbeitsunfähigkeit bedingten Arbeitsausfall nach § 3 Abs. 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Diesen musste sie nicht innerhalb der arbeitsvertraglich vorgesehenen Fristen geltend machen. Die nach Inkrafttreten der PflegeArbbV vom Beklagten gestellte Klausel verstößt gegen § 9 Satz 3 AEntG und ist deshalb unwirksam, so dass der Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV nicht wegen Versäumung der vertraglichen Ausschlussfrist erlischt. Für andere Ansprüche kann die Klausel nicht aufrechterhalten werden, weil dem das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB** entgegensteht.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 24. August 2016 – 5 AZR 703/15 –

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil vom 17. September 2015 – 6 Sa 1328/14 –

*§ 9 AEntG lautet:

„Ein Verzicht auf den entstandenen Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 8 ist nur durch gerichtlichen Vergleich zulässig; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen. Die Verwirkung des Anspruchs der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf das Mindestentgelt nach § 8 ist ausgeschlossen. Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs können ausschließlich in dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag nach den §§ 4 bis 6 oder dem der Rechtsverordnung nach § 7 zugrunde liegenden Tarifvertrag geregelt werden; die Frist muss mindestens sechs Monate betragen.“

*§ 13 AEntG lautet:

„Eine Rechtsverordnung nach § 11 steht für die Anwendung der §§ 8 und 9 sowie der Abschnitte 5 und 6 einer Rechtsverordnung nach § 7 gleich.“

**§ 307 Abs. 1 BGB lautet:

„Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.“